Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hat meine Anfrage am 17. April ausführlich auf 9 Seiten beantwortet, hier ist das PDF der vollständigen Antwort.

Der leichteren und kürzeren Lesbarkeit fasse ich die Antwort hier zusammen:

* * *

1. Das PEI stellt klar und betont, dass es sich bei den gemeldeten Fällen um Verdachtsfälle handelt, das war in meiner Anfrage unscharf formuliert. Üblicher Weise, u. a. im „Lob der Grundrechte“ verwende ich konsequent den Begriff „Verdachtsmeldungen“ bzw. Verdachtsfälle.

2. Jeder Verdachtsfall ist mit einem eindeutigen Fall-Pseudonym (Case_ID) versehen und kann mehrere Reaktionen umfassen. Gemeldet wurden insgesamt über eine Million Reaktionen. Anders ausgedrückt, eingegangen sind bis Mitte 2024 nicht mehr als eine Million Verdachtsfallmeldungen, sondern 350.868 – diese enthielten jedoch im Schnitt drei gemeldete Reaktionen, das ergibt über eine Million gemeldete Reaktionen. Die Schwelle zur Abfassung und Absendung einer Verdachtsmeldung (mit durchschnittlich drei Reaktionen) wurde also 350.000 Male übersprungen, entweder von einer behandelnde Ärztin, der Patient*in selbst, einer Familienangehörigen oder einer anderen Person: Jemand nahm die 20-30 Minuten Zeitaufwand in Kauf, ebenso die psychologische Schwelle, eine vom Gesundheitsminister als „nebenwirkungsfrei“ bezeichnete Impfung mit einem möglichen Schaden in Verbindung zu bringen sowie die psychologische Schwelle, dass man vom sozialen Umfeld sehr häufig sehr scheel angesehen wurde, wenn man von Impfschäden auch nur sprach. Und abgesehen von den Skrupeln, die eine Ärztin mitunter empfinden kann, einen Schaden zu melden, den sie/er selbst – gutgläubig – mitangerichtet hat.

3. Das PEI unterscheidet schwere und schwerwiegende Nebenwirkungen. Gesetzlich definiert seien nur letztere: „Schwerwiegende Nebenwirkungen sind Nebenwirkungen, die tödlich oder lebensbedrohend sind, eine stationäre Behandlung oder Verlängerung einer stationären Behandlung erforderlich machen, zu bleibender oder schwerwiegender Behinderung, Invalidität, kongenitalen Anomalien oder Geburtsfehlern führen.“ Unter den 350.868 Verdachtsfallmeldungen hätten sich 63.909 schwerwiegende Nebenwirkungen befunden. Anders: Bei knapp 64.000 Fällen wurden tödliche oder lebensbedrohliche Nebenwirkungen gemeldet. Bei einem Underreporting in der Höhe eines Fakors zwei wären es 128.000 Verdachtsfälle, bei einem Faktor fünf 370.000, bei einem Faktor zehn 640.000 Verdachtsfälle solch schwerwiegender Nebenwirkungen.

4. Verdachtsfälle mit tödlichem Ausgang habe es bis Ende 2024 3.717 gegeben. Hier trifft das PEI eine interessante Unterscheidung: Lautet der Verdacht, dass eine Person nicht direkt an der Impfung gestorben ist, sondern an einer Nebenwirkung, z.B. einem Herzinfarkt, dann wird dieser Fall nicht als Todesfall registriert, sondern als Herzinfarkt. Diese „Differenzierung“ könnte die tatsächliche Zahl der Impftoten ebenso in die Höhe treiben wie die nicht gemeldeten. Mir sind aus meinem unmittelbaren Verwandtschafts- und Freundeskreis eine beträchtliche Anzahl von Todesfällen kurz nach der Impfung bekannt, die nicht gemeldet wurden – aus dem einfachen Grund, weil die Angehörigen wörtlich andere Sorgen hatten als Formulare für statistische und medizinische Zwecke auszufüllen. Daran konnten auch meine Ermutigungen, dies zugunsten anderer Menschen zu tun, nichts ändern. Ich werde deshalb dem PEI eine weitere Frage zum Thema Underreporting/Overreporting stellen.

5. Es gab Risikosignale, jedoch in Bezug auf einzelne Nebenwirkungen spezifischer Impfungen.

6. Das „Spontanmeldesystem“ sei eines der wichtigsten Instrumente bei der Früherkennung von Verdachtsfällen von Nebenwirkungen, es eigne sich jedoch nicht für die exakte Bestimmung der Häufigkeit von Nebenwirkungen. Dies erfolgt in kontrollierten klinischen Prüfungen, in der Regel im Vergleich zu nicht geimpften bzw. mit Placebo behandelten Vergleichsgruppen – die aber offenbar vom PEI gar nicht durchgeführt werden. Dazu werde ich ebenfalls eine Folgefrage stellen.

7. Die Verdachtsmeldungen werden vom PEI nicht weiter verfolgt. Das ist aus meiner Sicht zu hinterfragen.

8. Listen von Verdachtsfallmeldungen werden vom PEI seit August 2023 zu COVID-19-Impfstoffen in PDF-Form angeboten. Am 28.11.2024 werden die Daten erstmals als besser recherchierbare Excel-Listen angeboten. Bekannt gegeben wurden die Veröffentlichungen vom November 2024 per Newsletter, und sie wurden „fallweise auch auf der Homepage angeteasert“. Weder gab es jedoch eine Newsmeldung auf der Website noch eine Presseinformation. Natürlich entscheidet das PEI, welches Format für welche Mitteilung passend ist, jedoch bin ich der Ansicht, dass der aktualisierte und in einem neuen Format (Excel-Tabelle) dargestellte aktuelle Stand der Verdachtsfallmeldungen sowohl eine Newsmeldung als auch eine Presseinformation wert ist, in der die veröffentlichten Daten kommentiert und kontextualisiert werden – das hätte meine gegenständliche Anfrage u. U. Erübrigt. Es würde einer proaktiven Informationspolitik zu einem gesellschaftlich und politisch besonders sensiblen Thema besser gerecht werden.

* * *

Ich habe heute, am 31. Juli 2025, dem PEI zwei Folgefragen gestellt:

Sehr geehrte/r XXX,

vielen Dank für die tatsächlich umfangreichen Antworten, die verständlicher Weise etwas mehr Zeit erfordert haben.

Ich habe noch zwei Nachfragen, diese sollten keinen so großen Aufwand mehr bedeuten:

1. Wie konnte das PEI seinen gesetzlichen Auftrag zur fortwährenden und systematischen Überwachung der Sicherheit von Arzneimitteln erfüllen ohne „kontrollierte klinische Prüfungen, in der Regel im Vergleich zu nicht geimpften bzw. mit Placebo behandelten Vergleichsgruppen“ durchzuführen und ohne „individuelle, d. h. patientenbezogene medizinisch-klinische Begutachtung“ der Verdachtsmeldungen (beide Zitate aus Ihrer Antwort vom 17. 4. 2025)?

2. Laut B. Sachs, J. Stingl, N. Paeschke, D. Dubrall und M. Schmid (2017): »Forschung im Bereich der unerwünschten Arzneimittelwirkung«, 29–32 in Bulletin für Arzneimittelsicherheit 1/2017; werden bei Spontanmeldesystemen „Schätzungen zufolge fünf bis zehn Prozent der schweren UAW [unerwünschten Arzneimittelwirkungen, Anm.] gemeldet (underreporting)“, das wäre eine von zehn oder sogar zwanzig schweren Nebenwirkungen. Wie hoch schätzen Sie, Bezug nehmend auf diese (dreifach referenzierte) Quelle aus dem eigenen Haus, das Under/Overreporting in Bezug auf die Covid-19-Impfstoffe in Deutschland ein?

Vielen Dank für die Beantwortung meiner beiden Folgefragen.

Freundliche Grüße

Christian Felber