7 Beispiele, wie die Wissenschaftsgemeinde „Wissenschaftsskepsis“ vorbeugen und dazu beitragen kann, Vertrauen in den Wissenschaftsbetrieb aufzubauen

Am 24. Januar lud die ÖAW zu einer Lecture on Science Communication im Vorfeld des Wissenschaftsballs ein. Vorgetragen wurde die Lecture mit dem Titel „Das hehre Ziel der Wahrheitssuche“ von der Politökonomin Maja Göpel, Honorarprofessorin an der Leuphana Universität Lüneburg und Mitinitiatorin von Scientists for Future. Hintergrund der Veranstaltung war die seit der Corona-Pandemie viel diskutierte „Wissenschaftsskepsis“ in Teilen der Bevölkerung. In der Einleitung durch den Kommunikationswissenschaftler Prof. Matthias Karmasin von der Universität Klagenfurt erfuhr das Publikum, dass 13 Prozent der Bevölkerung „science avoidance“ betrieben – das wäre ja eine gute Nachricht, weil ein relativ geringer Anteil. Der Deutsche Wissenschaftsrat schreibt im Oktober 2021 im Positionspapier Wissenschaftskommunikation: „Gleichwohl ist ein genereller Verlust von Vertrauen in die Wissenschaft bisher nicht erkennbar.“ (S. 29) Auch die hauseigene „kleine“ Aufarbeitungsstudie der ÖAW zur Covid-19-Pandemie, koordiniert von Alexander Bogner, kommt zum Schluss, dass die angebliche Wissenschaftsskepsis „sich weniger gegen die epistemische Autorität der Wissenschaft, also gegen ihre Methoden oder ihr Weltbild“ richte, zentrale Triebfeder sei vielmehr die „Annahme mangelnder Unabhängigkeit der Wissenschaft“ (S. 144). Auch das wäre eine gute Nachricht, weil eine gesunde Skepsis gegenüber einem fehlbaren System keine prinzipielle Anti-Wissenschaftlichkeit anzeigt.

Zu unterscheiden sind zwei Ebenen:

1. Skepsis und Hinterfragen sind wissenschaftliche Kerntugenden. Wissenschaft ist ein fortwährender Suchprozess nach immer tieferen Einsichten, immer genaueren Aufspüren von Tatsachen, Zusammenhängen und Kausalwirkungen. Wer nicht zweifelt und hinterfragt, kommt keinen Schritt voran. Dass Skepsis intern eine Tugend sein soll, aber dem System gegenüber ein Problem, ist zunächst verwirrend, vielleicht eine semantische Unschärfe bei der Begriffswahl.

2. Zu unterscheiden ist daher weiters zwischen Skepsis gegenüber der Wissenschaft per se (genuine Wissenschaftsskepsis) und Skepsis, die sich aufgrund bestimmter Methoden, Werte oder Kommunikationsformen von Wissenschaftsakteur*innen ergibt (bedingte Wissenschaftsskepsis oder eben Skepsis bezüglich der Unabhängigkeit, Transparenz, fachlichen Seriosität oder ethischen Integrität bestimmter Wissenschaftler*innen oder Institutionen).

Erstere ist tatsächlich ein Problem, zweitere hingegen ein Beleg für die Vernunft und Kritikfähigkeit der interessierten Wissenschaftsbeobachter*innen und -freund*innen. Die bereits zitierte ÖAW-Studie von 2024 zeigt, dass das genuine Interesse der österreichischen Bevölkerung an der Wissenschaft größer ist als an Kultur oder Sport: „Wissenschaft zählt zu den Themen, die das höchste Interesse in der österreichischen Bevölkerung hervorrufen.“ (S. 92)

Aus der Sicht guter Wissenschaftskommunikation stellt sich folglich die Frage: „Wie sinnvoll es ist, der Gesamtbevölkerung oder Teilen von ihr pauschal „Wissenschaftsskepsis“ zu attestieren. Macht das Lust auf mehr Wissenschaft? Fördert das Vertrauen in die Wissenschaft? Wäre es ein alternativer Erkenntnisweg, Selbstreflexion zu priorisieren und der Frage nachzugehen, wie gut Wissenschaftskommunikation während der Pandemie gelungen ist und die Community die eigenen diesbezüglichen Regeln befolgt hat?

Maja Göpel brachte zwei markante Beispiele in ihrem Vortrag. Das erste bezog sich auf die Infragestellung des anthropogenen Klimawandels. Diese – genuine Ablehnung von Wissenschaft ist – keine Frage – ein veritables Problem, und in der Vergangenheit steckten manifeste kommerzielle Interessen und Kampagnen dahinter, was den Fall eindeutiger macht. Das andere Beispiel war das unerschütterliche Festhalten der Wirtschaftswissenschaft am „BIP, BIP, BIP“. Dieses Beispiel fiel im Vortrag allerdings nicht in die Kategorie Wissenschaftsskepsis – sondern es wurde unter der Notwendigkeit neuer Narrative behandelt. Doch handelt es sich beim Beispiel BIP-Kritik nicht ebenso um „Wissenschaftsskepsis“, und zwar auch hier um genuine? Denn zweifellos werden seitens heterodoxer Ökonom*innen und Akteur*innen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs auch das Weltbild und die Methoden (neoklassischer) Ökonomen angezweifelt.

Warum aber ist das eine ein Beispiel für Wissenschaftsskepsis und das andere nicht? Könnte es sein, dass die Rechten, wenn sie etwas infrage stellen, rasch als „Wissenschaftsskeptiker“ und „Wissenschaftsleugner“ geframt werden; hingegen die Linken (wie ich) sich lieber als Anbieter von neuen Narrativen verstehen? Was hätte Thomas Kuhn dazu gesagt? Er hat sich zwar mit Naturwissenschaften auseinandergesetzt, weshalb fraglich ist, ob er auch in den Sozialwissenschaften von „wissenschaftlichen Revolutionen“ gesprochen hätte, aber der Übergang von einer BIP-zentrierten Ökonomik hin zu einer Ökonomik rund um Gemeinwohl und Nachhaltigkeit innerhalb Planetarer Grenzen kann auch ohne Kuhn getrost als Paradigmenwechsel bezeichnet werden. Die Skepsis, die dieser „wirtschaftswissenschaftlichen Revolution“ zugrunde liegt, ist grundvernünftig und darf gerne noch wachsen.

Des Pudels Kern in der aktuellen Debatte um die Wissenschaftsskepsis ist m. E., ob es sich bei der Diskussion um die Covid-19-Pandemie eher um einen Fall wie der Klimadiskussion handelt, wo „ungläubige“, „wissenschaftsfeindliche“ Wissenschaftsskeptiker*innen oder sogar „Wissenschaftsleugner*innen“ gefestigte naturwissenschaftliche Fakten in Frage stellen oder nicht wahr haben wollen? Oder mehr um einen Ideologie-Streit wie in zweiterem Fall, wo die einen das BIP zum Fetisch ihrer Disziplin erklärt haben und andere – mit mindestens ebenso harten, wenn nicht noch härteren Fakten und Argumenten – die Welt ganz anders sehen und am liebsten die gesamte Disziplin erneuern wollen?

Vor dem Hintergrund dieser beiden Möglichkeiten frage ich mich, ob die Hypothese, dass die Bevölkerung breitflächig wissenschaftsskeptisch geworden sei, zielführend ist? Ich schlage folgende alternative Fragestellung vor: Wie kann das im Pandemie-Diskurs verloren gegangenens Vertrauen in die Wissenschaft wiedergewonnen werden?

Kurzantwort: Indem sich die Wissenschaftsgemeinde zuerst der Selbstreflexion hingibt anstatt eine Schuldzuweisung (die „Wissenschaftsskeptiker“ da draußen) vornimmt. Hypothese: Hätte die Wissenschaftscommunity im Pandemie-Diskurs genauer auf die Einhaltung der Grundsätze guter Wissenschaftskommunikation geachtet, wäre es nicht zum nebulösen Phänomen der „Wissenschaftsskepsis“ gekommen. Sie hätte das Vertrauen in den Wissenschaftsbetrieb als verlässlicher Partner der Gesellschaft in der Krise noch stärken können.

Ich möchte sieben Beispiele bringen, wie Vertrauen in den Wissenschaftsbetrieb gestärkt werden kann, auf Basis des „Positionspapiers Wissenschaftskommunikation“ des Deutschen Wissenschaftsrates (2021), des SAPEA-Papiers „Making sense of science for policy under conditions of complexity and uncertainty“ (2019) sowie den „Zehn Thesen zur Wissenschaftsfreiheit“ der Allianz der Wisssenschaftsorganisationen in Deutschland (2019).

Beispiel 1: Respektvoller Umgang mit Kolleg*innen

Maja Göpel führte in der Diskussion Christian Drosten als positives Beispiel für gute Wissenschaftskommunikator an. Nun hat Christian Drosten zweifellos seine Stärken. Doch gleichzeitig fiel er bei genauerem Zuhören und Hinsehen auffallend häufig mit heftiger Diskreditierung von Kolleg*innen auf. Laut Deutschem Ethikrat (2022) kommt es im öffentlichen Diskurs „auf die Fähigkeit an, von der eigenen Auffassung abweichende Ansichten auszuhalten und in einer sachlichen, von Respekt und wechselseitiger Anerkennung getragenen Kommunikation den Korridor rationaler Abwägungen gemeinschaftlich auszuloten“. Christian Drosten bezeichnete dagegen Kolleg*innen, die anderer Meinung waren, als Pseudowissenschaftler, Verbreiter von komplettem Unsinn (einen Nobelpreisträger) und als Verschwörungstheoretiker. Bei solchen – wiederholten – Herabwürdigungen sollte eine Wissenschaftsinstanz zur Rückkehr zu respektvoller Kommunikation rufen können. Und es sollte gelten: Je prominenter Vertreter*innen eines Fachs in der Öffentlichkeit sichtbar sind, desto genauer sollten sie auf die Einhaltung fairer Kommunikationsstandards geprüft werden. Bleiben solche Diskreditierungen folgenlos, sinkt unweigerlich das Vertrauen in den Wildwest-Wissenschaftsbetrieb.

Beispiel 2: Immer die gesamte Bandbreite kommunizieren

Die fünf als SAPEA zusammenarbeitenden europäischen wissenschaftlichen Akademieverbünde empfehlen: „Bei komplexen Problemen und Themen ist es essenziell, dass die gesamte Palette an wissenschaftlichen Meinungen dargestellt wird und dass alle Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten vollständig transparent gemacht werden.“ (S. 16) Für die Wahrheitsfindung ist das essenziell – u. a., um voreilige Scheinwahrheiten zu verhindern. Christian Drosten lieferte auch hier ein prominentes Lehrbeispiel: Im März 2020 bezeichnete der Chef-Epidemiologe der Berliner Charité, Stephan Willich, Covid-19 als „etwas gefährlicher“ als die Grippe (Tagesspiegel, 20.3.2020). Im April 2020 bezeichnete Christian Drosten, Chef-Virologe derselben Institution, im ORF-Interview Covid-19 als 10-20mal gefährlicher als die Grippe. ORF Science verschriftlichte auf 20- bis 30mal gefährlicher. (Keine Faktenchecker*in reagierte.) Im September 2020 gaben Meyerowitz-Katz et al. in einem Preprint (!) für die Grippe eine IFR (infection fatality rate) von 0,05% an und für Covid-19 von 0,8%. Christian Drosten machte im NDR-Podcast (September 2020) daraus einen Faktor 16: „Für jeden Influenza-Toten gibt es 16 Covid-19-Tote in den USA.“ Kein Wort zu den anderslautenden Einschätzungen z.B. seines unmittelbaren Kollegen, im Gegenteil, Andeutungen, in Deutschland könnte der Faktor noch höher liegen. Einen Monat später, im Oktober 2020, waren in einem Update beide Referenzzahlen für den Faktor 16 aus dem Preprint verschwunden. Ein Widerruf von Drosten des abgeleiteten Faktors 16 ist nicht bekannt. Im Dezember 2020 verwendete ein MDR-Faktencheck den – mittlerweile ohne Grundlage zirkulierenden – Faktor 16, um zu beweisen, dass Expert*innen, die Covid-19 für ähnlich gefährlich oder „etwas gefährlicher“ als die Grippe hielten, irrten. Selbiges tat der BR-Faktenfuchs noch im Juni 2021. Bereits im Oktober 2020 kam der weltweit anerkannte Epidemiologe Prof. John Ioannidis auf eine IFR bei Covid-19 von 0,23 Prozent (WHO Bulletin), in einem Update der Studie im April 2021 auf 0,15 Prozent (Journal of Clinical Investigation). Die CDC berechnete die durchschnittliche IFR für die Grippe im Zeitraum 2010-2020 mit 0,13 Prozent. Wissenschaftlich integer wäre gewesen, beim Verkünden des Faktors 16 auch auf andere Einschätzungen und Studien zu verweisen – stets auf das „gesamte Spektrum“ (SAPEA). Und jedenfalls den Faktor 16 zurückzurufen, als dessen Grundlage nicht mehr existierte. Beides hätte Vertrauen in die Wissenschaft geschaffen. Zumal es auch um die Vermeidung unnötiger Angst in der Bevölkerung ging.

Beispiel 3: Alternativen aufzeigen statt Rhetorik der Alternativlosigkeit anschlagen

Der Wissenschaftsrat sagt, dass wissenschaftliche Aussagen und politische Empfehlungen stets sauber zu trennen sind: „Um einer Politisierung von Wissenschaft und einem Autoritätsverlust wissenschaftlicher Expertise vorzubeugen, ist es gerade auf kontroversen Themenfeldern erforderlich, dass die wissenschaftliche Erkenntnis- und die politische Handlungsebene klar unterscheidbar sind.“ (S. 20) Die Leopoldina hielt sich nicht immer daran, im Dezember 2020 forderte sie einen „harten Lockdown“ und stellte diesen in ihrer 7. Ad hoc-Stellungnahme zur Corona-Pandemie als „unbedingt notwendig“ dar. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, die unterschiedlichen Handlungsoptionen aufzuzeigen – von Laufenlassen bis Lockdown – und die zu erwartenden Konsequenzen in Szenarien zu skizzieren, idealiter auf Basis empirischer Evidenz. Stattdessen schlug die Vorzeigeinstitution eine Rhetorik der Alternativlosigkeit an. Christian Drosten sekundierte, die Aufforderung der Leopoldina sei „die letzte Warnung der Wissenschaft“ (im Widerspruch zu zahlreichen Wissenschaflter*innen, die vor Lockdowns warnten. Selbst die WHO appellierte bereits im Oktober 2020 „ernsthaft an die globalen Entscheidungsträger*innen: Hört auf, Lockdowns als eure wichtigste Eindämmungsmethode zu verwenden. Entwickelt bessere Methoden!“ (min. 25:15) Drosten sprach auch, als hätte es den Schwedischen Weg nie gegeben, von „schmerzhaften politischen Maßnahmen, die man nun einmal ergreifen musste“ (Süddeutsche Zeitung). Gute Wissenschaft baut Vertrauen auf, indem sie die vorhandenen Alternativen aufzeigt und der Politik transparent die Entscheidung überlässt. Dann fällt es der Politik auch leichter, sich zu entschuldigen, wie es in Slowenien gelang.

Beispiel 4: Verbindung zur Realität (Evidenz)

Maja Göpel begann ihre „Suche nach der Wahrheit“ mit der Korrespondenztheorie. Dieser Theorie zufolge sind Urteile dann wahr, wenn sie „mit ihrem Gegenstand in der Welt übereinstimmen“ (korrespondieren), anders gesagt, empirisch überprüfbar und evidenzbasiert sind. Dazu ein österreichisches Beispiel: Am 7. Juli 2020 veröffentlichten das Schwedische und das Finnische Gesundheitsamt eine empirische Studie zur Wirksamkeit von Schulschließungen. Ergebnis: Schulschließungen hätten „keinen (!) messbaren direkten Effekt auf die Zahl der laborbestätigten Fälle bei Kindern im Schulalter in Finnland und Schweden“. Bei den 0-19-Jährigen gab es in beiden Ländern zwischen März und Mitte Juni 2020 keinen einzigen Todesfall. Kinder und Jugendliche seien keine auffälligen Überträger des Virus (keine „Superspreader“) und Lehrkräfte seien nicht gefährdeter als andere Berufsgruppen (S. 7). Das war das Ergebnis einer Evidenz-basierten Studie, die – nach Maja Göpel – mit der Realität korrespondierte. Am 14. Juli, eine Woche danach, veröffentlichte das Complexity Science Hub auf der Website der MedUni Wien seine Studie zur Wirksamkeit verschiedener Pandemiemaßnahmen, angewandt wurden vier verschiedene, teils neuartige Methoden. Studienleiter Peter Klimek zum Ergebnis: „Die bei weitem wirksamste Maßnahme (!) ist unserer Studie zufolge die Schließung von Bildungseinrichtungen.“ Klimek bezeichnete dieses Ergebnis als „sehr aussagekräftig“, das „Entscheidungsträgern bei der Bekämpfung der derzeit beginnenden zweiten Welle der Pandemie eine große Hilfe sein kann“ (MedUni Wien, 14. Juli 2020). Dass Schulschließungen ein großer Fehler waren, gilt heute als Konsens und wurde sowohl vom österreichischen als auch vom deutschen Gesundheitsminister öffentlich zugestanden. Weltweit gingen am Höhepunkt der Lockdowns 1,6 Milliarden Kinder nicht zur Schule, viele verloren dadurch ihre einzige warme Mahlzeit am Tag. Manche erlitten Bildungsrückstände, die Jahrzehnte wirken werden (Kurier, 24. 1. 2022). Die Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen litt im Lockdown besonders. Die finnisch-schwedische Studie betonte: „Die negativen Auswirkungen von Schulschließungen müssen mit den positiven indirekten Effekten, die sie auf die Eindämmung der Covid-19-Pandemie haben könnten, abgewogen werden.“ Ein Jahr später wurde Peter Klimek zum Wissenschaftler des Jahres in Österreich gewählt. Solche Entscheidungen bilden kein Vertrauen in der Bevölkerung in den Wissenschaftsbetrieb – weil sie den Eindruck erwecken, dass Evidenz keine Rolle spielt.

Beispiel 5: Wissenschaft nicht für Angstmache instrumentalisieren

Ich habe Soziologie studiert, und wenn ich im Studium gelernt hätte, dass die Soziologie dazu dient, der Bevölkerung Angst einzujagen, hätte ich dieser Zunft sofort und für immer den Rücken gekehrt. Bisher galt als oberste Regel des Krisenmanagements, Ängste zu beruhigen. Das deutsche Innenministerium ließ sich von Wissenschaftlern beraten, die im Strategiepapier Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen der Behörde rieten, „Urangst“ zu schüren, „Schockwirkung“ zu „erzielen“ und bei Kindern „schreckliche Schuldgefühle“ zu erzeugen. Angst in dieser massiven Form bewusst zu erzeugen verletzt die Menschenwürde und darf vom Staat niemals vorsätzlich getan werden. Einer der acht männlichen Autoren des Papiers, der deutsche Soziologe Heinz Bude, sinnierte in einer wissenschaftlichen Reflexion mit dem vielsagenden Titel Aus dem Maschinenraum der Beratung über die Vorteile der empfohlenen „Schocktherapie“ und über eine „Politik des Zugriffs“ (S. 249), in der es darum ging, „Zwänge zu verordnen“ und „zu überlegen (…) wie man auf das individuelle Verhalten zugreifen kann“ (S. 247). Das ist autoritäres Denken in Reinform, das nicht zu Demokratien passt und das Vertrauen in Staat und Wissenschaft zerstört. Soll das Vertrauen in den Wissenschaftsbetrieb wiederhergestellt werden, dürfen nie wieder solche „Geister“ Regierungen beraten. Oder dies nur unter heftigem und lautem Protest der Kolleg*innen. Dieser wäre angetan, den Vertrauensverlust in den Wissenschaftsbetrieb zu begrenzen. Leider blieb er mit wenigen Ausnahmen aus.

Beispiel 6: Vor relevanten Gefahren warnen = das Gemeinwohl schützen

Gute Wissenschaftskommunikation schließt wissenschaftsethische Verantwortung mit ein. Dazu zählt der Verzicht auf die Entwicklung von nuklearen Waffen – und der Einsatz dagegen. Der Film „Oppenheimer“ macht diesen Gewissenskonflikt zum Thema, und ein globales Netzwerk, das sich für „nuclear disarmament“ und eine „prohibition of nuclear weapons“ einsetzt, erhielt 2024 den Friedensnobelpreis. Ähnlich sollte es sich mit biologischen Waffen verhalten, seit 1971 gibt es dazu auch eine UN-Konvention zum Verbot von Biowaffen. Doch die damit in Zusammenhang stehende Gain-of-function-Forschung läuft munter weiter, unter anderem an Coronaviren. 2013 überreichten 56 Wissenschaftler*innen, darunter 3 Nobelpreisträger*innen, der EU-Kommission eine Petition zur stärkeren Regulierung dieser brandgefährlichen Forschung. Die USA verhängten 2014-2017 ein Moratorium. 2017 warnte Bill Gates auf der Münchner Sicherheitskonferenz: „Die nächste Pandemie könnte auf dem Computer-Bildschirm eines Terroristen entstehen.“ Im selben Jahr kündigte Anthony Fauci einen „surprise breakout“ an (Bloomberg, 13. Mai 2020). 2018 war im Planspiel „Clade X“ der Johns-Hopkins Universität die Spielannahme, dass ein synthetisches Virus aus dem Labor eine Pandemie mit 150 Millionen Toten verursachen würde. 2018 beantragte die EcoHealth Alliance eine Forschungsförderung für die Entwicklung eines pandemiefähigen Sars-Virus („DEFUSE“). 2019 tauchte das Sars-CoV-2 auf, das den Forschungszielen in DEFUSE frappierend ähnlich ist. Dennoch schlossen im Februar 2020 27 Wissenschaftler*innen, darunter Christian Drosten, einen Laborursprung von Sars-CoV-2 in einem Beitrag in Lancet kategorisch aus und bezeichnen Kolleg*innen, die anderer Ansicht waren, als „Verschwörungstheoretiker“. Im Dezember 2024 kommt der 557 Seiten starke Bericht des Covid-19-Pandemie-Untersuchungsausschuss des US-Kongresses zum Schluss, dass Sars-CoV-2 „most likely“ aus dem Labor stammt.

Was hat das mit dem Vertrauen in die Wissenschaft zu tun? Nun, in Österreich und Deutschland gibt es dazu praktisch keine öffentliche Diskussion – nicht zuletzt, weil Christian Drosten alle, die nicht seiner – sich immer wahrscheinlicher als falsch herausstellenden – Meinung waren, als „Verschwörungstheoretiker“ gebrandmarkt hat. Heute kann ein solches Urteil den sozialen Tod der stigmatisierten Person bedeuten. Doch wenn aus Angst vor Stigmatisierung ein relevantes Thema totgeschwiegen wird, wenn eine Top-Gesundheitsgefahr hermetisch ausgeblendet und dadurch die Weltbevölkerung massiv gefährdet wird, wird immens viel Vertrauen in den Wissenschaftsbetrieb zerstört. Günter Theißen, Lehrstuhlinhaber für Genetik der Universität Jena, der ein Buch zum verfasste, schreibt: „Zur Debatte um den Ursprung der Pandemie gibt es keine Stellungnahme von der Elite der deutschen Wissenschaftsorganisationen, wie insbesondere der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Max-Planck-Gesellschaft, der Leibnitz-Gesellschaft oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Trauen sie sich nicht? Ist es politische Rücksichtnahme?“ (S. 105) Vertrauen bilden würden öffentlichkeitswirksame Petitionen zum Verbot der Gain-of-function-Forschung – wie jene 2013 von 56 Wissenschaftler*innen an die EU-Kommission.

Beispiel 7: Interessenskonflikte offenlegen

Der vielleicht größte Einzelvertrauensverlust in eine öffentliche Institution in Deutschland war die unfreiwillige Herausgabe der RKI-Protokolle mit einer Klage nach dem Informationsfreiheitsgesetz und die dadurch zutage tretenden Differenzen zwischen der offiziellen RKI-Kommunikation und den internen Beratungen des Covid-19-Krisenstabs: keine Evidenz für Inzidenzgrenzen, keine Evidenz für Maskentragen, Warnung vor Lockdowns, Warnung vor missbräuchlichen Verwendung von Impfzertifikaten für soziale Ausgrenzung, … Wäre den Beratungen des Krisenstabs Folge geleistet worden, hätte das Pandemie-Management in Deutschland ganz anders ausgesehen und wohl eher dem Schwedischen Weg geähnelt. Das RKI stellte in den Protokollen selbst fest, dass es „sich als Institut nicht auf die Freiheit der Wissenschaft berufen kann“, zumal „das BMG die Fachaufsicht über das RKI hat“ (RKI-Protokolle, 10. September 2021, TOP 6). Die Bevölkerung und die Medien haben dem RKI aber vertraut. Hätte Lothar Wieler nicht bei jeder seiner öffentlichen Aussagen klar kenntlich machen müssen, dass er nicht als unabhängiger Wissenschaftler spricht? Ähnliches gilt für das Paul-Ehrlich-Institut, das am 28. November 2024 eine 2-teilige Liste von mehr als einer Million gemeldeter (!) Impfreaktionen und -komplikationen veröffentlicht hat – ohne wenigstens eine Pressemitteilung dazu zu verfassen.

Es gibt weitere Beispiele. Von den 27 Unterzeichnern der Verschwörungstheorie-Hypothese in Lancet gab kein einziger einen Interessenskonfikt an, nicht einmal Peter Dazak, der mit der EcoHealth Alliance erwiesenermaßen Forschungsgelder aus den USA für Gain-of-function-Forschung an Corona-Viren am Wuhan Institute for Virology akquiriert hat und verständlicher Weise kein Interesse an der Regulierung dieser Hochrisikoforschung hat. Auch sein Mitunterzeichner Christian Drosten gab keinen Interessenskonflikt an und machte seine Mitunterzeichnung auch nicht von der transparenten Angabe der Interessenskonflikte seiner Kolleg*innen, allen voran Peter Dazak, abhängig. Eine solche Intransparenz bildet nicht Vertrauen, sie macht misstrauisch. Klare Regeln und Sanktionen bei Nichteinhaltung würden hier Vertrauen schaffen – abgesehen von redlichen Wissenschaftler*innen.

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Das waren sieben Beispiele, wie die Wissenschaftscommunity selbst dafür sorgen kann, dass das Vertrauen der Bevölkerung in den Wissenschaftsbetrieb schwindet – oder wächst. Es gibt viele weitere Bespiele. Eine Lehre aus der Corona-Pandemie könnte die Reflexion dieser Fragestellung durch den Wissenschaftsbetrieb sein: Wie wird Vertrauen verspielt, wie kann es gewonnen werden? Das wäre jedenfalls der erkenntnisreichere Weg als großen Teilen der Bevölkerung pauschal „Wissenschaftsskepsis“ zu attestieren.

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Update am 1. Februar 2025:

Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es auch aktuell bereits Petitionen zur Beendigung gefährlicher GoF-Forschung gibt und auch ein erstes Gesetz in Florida:

-> Petition von Biosafety Now 2023

-> Hamburg Declaration 2022

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Die hier andiskutierten Inhalte werden im Buch Lob der Grundrechte (3. Februar 2025) genauer behandelt.