Mein Text 30 Gründe, warum ich mich derzeit nicht impfen lasse hat ein starkes Echo ausgelöst: Zustimmung und ebenso deutliche Ablehnung. Einige Personen waren sehr enttäuscht und befanden, dass ich den Pfad des Gemeinwohls verlassen und mein Empathievermögen verloren hätte. Einzelne kehrten sogar der GWÖ-Bewegung und der Genossenschaft für Gemeinwohl den Rücken; andere traten aus der GWÖ aus, weil die deutschen Vereine klarstellten, dass es sich um meine private Meinung handle (was zutrifft). Diese unbeabsichtigten Wirkungen bedaure ich sehr, sie lassen mich einiges überdenken.

Den Zeitpunkt der Veröffentlichung hätte ich tatsächlich sensibler wählen können. Die emotional schon sehr aufgeladene Diskussion führte zu Reaktionen, Deutungen und Verallgemeinerungen, die der Gemeinwohl-Ökonomie als Organisation geschadet haben. Ich unterschätzte, dass ich in den sozialen Medien nicht mehr als Mensch (mit Gefühlen, Ängsten, Sorgen), sondern als Gründer und Vertreter der GWÖ-Bewegung gesehen werde. Ich schrieb aber meine ganz persönliche Geschichte. Weder wollte ich allgemeingültig recht haben, noch sind medizinische Themen mein fachlicher Schwerpunkt. Einige (von insgesamt hundert) Quellen prüfe ich gewissenhaft. Ich mute mir aber weiterhin zu, ein Mahner zu sein, wenn aus meiner Sicht etwas systemisch nicht stimmig scheint.

Meine Intention mit dem Text war es zu zeigen, dass Menschen vielfältige und unterschiedlichste Gründe haben können, wenn sie sich gegen eine Impfung entscheiden; dass es zwischen dem Schwarz-Weiß von Impfgegner*innen und Impfbefürworter*innen eine bunte Vielfalt der Motive, Wahrnehmungen und Einschätzungen gibt. Ich wollte darlegen, dass viele der Betroffenen weder ahnungslos noch unmoralisch sind und ihrer öffentlichen Diffamierung entgegenwirken.

Mein Text wurde in mehreren Aspekten missverstanden. Entgegen meiner einleitenden Aussage: „Ich respektiere die Entscheidung jedes Menschen, sich impfen zu lassen, versuche ich niemanden davon zu überzeugen, sich nicht impfen zu lassen“, wurde mir eine generelle Impfgegnerschaft unterstellt. Das trifft nicht zu. Ich bin für eine freie Impfentscheidung und nur gegen eine Impfpflicht.

Manche haben außerdem verstanden, dass ich mich zum „Maßstab“ für andere gemacht hätte. Das Gegenteil war gemeint: Aus meinem Zugang des Hörens auf den eigenen Körper und der Berücksichtigung meiner Risikofaktoren (wie das Alter) ergibt sich, dass andere Menschen, die auf ihren Körper hören und ihren Gesundheitszustand / ihr Alter berücksichtigen, eben auch zu anderen Schlüssen kommen können. Das kann eine Impfung sein, und ich ermutige sie ausdrücklich dazu.

Ich unterscheide in der öffentlichen Diskussion zur Impfung vier grundsätzliche Positionen:

1. Radikale Impfgegner*innen – treten für ein Impfverbot ein.

2. Moderate Impfgegner*innen – sind für eine freie Impfentscheidung, jedoch ohne Finanzierung mit Steuergeldern (keine Solidarität).

3. Moderate Impfbefürworter*innen – sind für eine freie Impfentscheidung mit solidarischer Finanzierung durch öffentliche Mittel. Dies ist meine Position.

4. Radikale Impfbefürworter*innen – sind für eine Impfpflicht und eine Begrenzung von Grundrechten im Interesse der Gesellschaft.

Die Demokratie könnte in der gegenwärtigen Krise gewinnen, wenn unterschiedliche Strategien breit sichtbar diskutiert und die Bürger*innen stärker in eine Lösungsfindung eingebunden werden, wie es z.B. Mehr Demokratie e.V. vorschlägt.

Ein Stolperstein in der aktuellen Debatte ist, dass manche Menschen, die Solidarität oder das Gemeinwohl auf eine bestimmte Weise verstehen, andere, die für dieselben Werte eintreten, bezüglich der Umsetzungsstrategie aber zu anderen Schlüssen kommen, als „unsolidarisch“ und „gegen das Gemeinwohl agierend“ beurteilen. Ich finde dies bedauerlich: wir sollten einander nicht die Motive absprechen. Grundwerte können nach meiner Meinung nur in einem zuhörenden und wertschätzenden Diskurs konkretisiert werden. Das Ertragen von und Einfühlen in unterschiedliche Perspektiven ist ein Fundament der Demokratie.

Zusammenfassend: Für mich beinhaltet das Gemeinwohl den (ganzheitlichen) Schutz der Gesundheit, die Grundrechte und die Gleichbehandlung – ohne auf eins zu verzichten.

Ich hoffe, mit diesen Zeilen zumindest einige Irritationen beseitigen zu können.