Ungeimpfte“, „Impfunwillige“, „Impfverweigerer“, … schneller, als man schauen kann, ist ein neuer Sündenbock geschaffen. Die Vorschläge, was alles mit Menschen ohne Covid-19-Impfung gemacht werden soll, wächst nahezu täglich: Ausschluss vom öffentlichen Leben (2G oder 1G), keine Verdienstausfallentschädigung für quarantänepflichtige Ungeimpfte, höhere Krankenkassenbeiträge oder höhere Steuern, … Ich kann mir diesen Kreativitätssturm, wie Menschen ohne Impfung schlechter gestellt werden könnten, nur damit erklären, dass den Vorschlagenden nicht bewusst ist, was ein Grundrecht ist, und dass es einen fundamentalen Unterschied macht, ob die Regierungen zum Beispiel Klimaschutz oder biologischen Landbau fördert – es wird kein Grundrecht beschnitten, wenn nachhaltige Mobilität oder Landwirtschaft besser und fossile Mobilität und industrielle Landwirtschaft schlechter gestellt werden – oder ob sie Menschen indirekt zu einer Grundrechtsverletzung zwingt. Wenn ich gedrängt werde, mich impfen zu lassen oder Nachteile erleide, wenn ich es nicht tue, verliere ich in jede Richtung ein Grundrecht: das auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung oder jenes auf allgemeine Handlungsfreiheit. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass Grundrechte nicht einfach so heißen, sondern über anderen Rechtsregeln stehen, z. B. dem Recht der Regierung, die Gesundheit mit bestimmten Maßnahmen zu schützen. Sie darf bei der Verfolgung des Gesundheitsziels prinzipiell keine Grundrechte beschneiden bzw. nur, wenn dies befristet, geeignet und verhältnismäßig ist. Nichts davon ist m. E. der Fall. Gegen diese neue Form der Diskriminierung wird noch viel gesagt und Widerstand geleistet werden.

Hier interessiert uns ein anderes Thema: Was ist eigentlich mit den natürlich Immunen?

In vorangegangenen Beiträgen habe ich darauf hingewiesen, dass in der bisherigen Krisenstrategie in Österreich, Deutschland und anderen Ländern:

– keine lehrreiche Information über mein natürliches Immunsystem enthalten war;

– keine Maßnahme zur Stärkung desselben;

– schlimmer noch: einige der Regierungsmaßnahmen, wie verpflichtende Quarantäne für Gesunde (Kontaktpersonen und Menschen mit falschem PCR-Testergebnis (im Schnitt 60% aller positiven PCR-Testergebnisse laut einer Studie der Universität Duisburg-Essen)), Lockdown und übertriebene Angstmache schwächen das Immunsystem in starkem Maß.

Das ist bedenklich, weil ein robustes Immunsystem ein guter Schutz gegen das Sars-CoV-2-Virus ist, für eine/n selbst und ebenso für andere. Das kann im Einzelfall soweit gehen, dass Menschen, die weder gimpft noch genesen sind, mehr zur kollektiven Immunität (und einem so verstandenen „Gemeinwohl“) beitragen als Menschen mit Impfung, die jedoch aufgrund eines ungesunden Lebenswandels (und ggf. damit verbundener Vorerkrankungen) ein schwaches Immunsystem haben und nicht nur selbst in höherem Maß als robust Gesunde gefährdet sind, sondern auch eine größeres Ansteckungsrisiko für ihre Mitmenschen darstellen. Einer Kohorten-Studie aus Südkorea mit 70.000 Teilnehmer*innen zufolge verringert regelmäßige körperliche Aktivität das Todesrisiko durch Covid-19 um den Faktor 4. Das nur durch einen einzigen Gesundheitsfaktor; es wäre interessant zu erfahren, um welchen Faktor das Sterberisiko sänke, wenn auch gesunde Ernährung, Stressfreiheit, beziehungsreiches und kreatives Leben als Gesundheitsfaktoren dazukämen.

Für die Wirksamkeit der Impfungen liegen extrem widersprüchliche Daten vor: Von einem Senkung des Sterbeisikos *im Fall einer Infektion* um den Faktor 10 (Pharmazeutische Zeitung, 5. 8. 2021) bis hin zu einer Vergleichsstudie in 68 Ländern, die keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Impfquote und Infektionsrate gefunden hat (Subramanian & Kumar, European Journal of Epidemiology, 30. 9. 2021).

Ich wünsche mir einen differenzierten Blick auf Verantwortung und kollektive Immunität statt eine „einzige“ Lösung zu propagieren, wie Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ORF, 23. 9. 2021). Noch im April setzte der ORF Vollimmunisierte mit Geimpften gleich (ORF, 9. April 2021). Politiker*innen bezeichneten das „geimpft“-G als das „beste G“.

Entgegen dieser Annahmen zeichnet sich wissenschaftlicher Konens ab, dass Menschen mit natürlicher Immunität (= Genesene) besser gegen eine neuerliche Infektion geschützt sind als Geimpfte (ORF, 12. September 2021). Genesene bilden mehr Antikörper als Geimpfte, bei Letzeren konnten nur S-Antikörper (gegen das Spike-Protein) festgestellt werden, und der Immunschutz bei Genesenen ist auch „stabiler“. Von daher ist die Schlechterstellung von Genesenen eine Diskriminierung gegen jede wissenschaftliche Evidenz.

Dazu eine persönlich erzählte Anekdote aus Wien: In Wien gilt in Nachtlokalen seit April 2G im Sinne von geimpft oder getestet. Razzia in einem Lokal um 22 Uhr: 6 Polizist*innen in Uniform, zwei versperren die Tür, vier kontrollieren, alle sind geimpft, eine Person ist genesen – sie wird von den vieren vor die Tür begleitet und wird gestraft. Sie muss 90 Euro Buße zahlen, weil ihr „G“ nicht gilt. Obwohl wissenschaftlich das G von „genesen“ wirksamerer Selbst- und Fremdschutz ist als das G von geimpft.

Immunitätsquote

Derzeit starrt alles auf die Impfquote, obwohl doch die Immunitätsquote ausschlaggebend ist.

Um die Immunitätsquote zu eruieren, bedarf es zumindest der Addition von Genesenen und Geimpften, genau genommen auch noch derjenigen robust Gesunden, denen das Coronavirus selbst bei intensivem Kontakt nichts anhaben kann, sowie der Kreuzimmunen; bei letzteren beiden Kategorien stellt sich natürlich die Frage der Feststellung; für das Gesamtbild und Gesamtverständnis ist es aber wichtig, auch diese Fälle immer mitzudenken, damit sich kein auf die Impfung gerichteter Denktunnel bildet.

Dass zumindest die Genesenenquote mittels Kohortenstudie erhoben wird, fordert nun auch die Tiroler Virologin Dorothee von Laerallerdings nur für Antikörpertests. Wichtig wären auch Gedächtniszellentests, weil es sein kann, dass bei Genesenen zwar keine Antikörper mehr vorhanden sind, aber ausreichend Gedächtniszellen, die bei einem Neukontakt mit dem Virus Antikörper produzieren. Bei Sars1 ergaben Forschungen, dass Gedächtniszellen noch 17 Jahre nach der Infektion vorhanden waren – und damit natürlicher Immunschutz (science ORF, 10. Mai 2021).

Jens Berger hat in einem Beitrag auf den NachDenkSeiten gezeigt, dass womöglich das „Traumziel“ von 85% Immunen in Deutschland mit der Hinzurechnung der Genesenen bereits erreicht ist, womit alle Maßnahmen nun aufgehoben werden müssten – wie in Großbritannien oder Dänemark.

1-G oder 2-G i. S. v. „geimpft“ oder „getestet“ ist somit nicht nur eine unhaltbare Diskriminierung von Menschen, die genesen sind (und streng genommen auch von Menschen, die robust gesund oder kreuzimmun sind); das Ausblenden der Genesenen aus dem Gesamtbild hilft bei der Rechtfertigung der Aufrechterhaltung von Grundrechtsbeschneidungen.

Der Freiburger Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek hat in einem Rechtsgutachten vom 4. Oktober 2021 nicht nur 2G, sondern auch 3G als unvereinbar mit dem Grundgesetz bewertet. Fazit des Gutachtens: „Alle Benachteiligungen der Ungeimpften durch die 2G- und 3G-Regeln sowie durch die Vorenthaltung einer Quarantäneentschädigung lassen sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen und müssen sofort aufgehoben werden.“ (Die Zusammenfassung des Gutachtens ist so lesenswert, dass ich sie im nächsten Tagebuch-Eintrag zur Gänze wiedergeben werde.)

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Sängerin Elisabeth Kulman, ein Konzert unter 2G-Bedingungen abzusagen, nicht nur verständlich, sondern als Eintreten für den Schutz der Grundrechte zu verstehen.