Versuch einer Einordnung des Gastkommentars von Elon Musk in der ‚Welt‘ in die Kategorien Meinungsfreiheit, Medienqualität und Machtkonzentration
Während die verantwortliche Redakteurin den Job an den Nagel hängte, argumentierte der designierte CR der „Welt“, dass die Schaltung des Gastkommentars von Elon Mask Ausdruck der vom Blatt hochgehaltenen Meinungsfreiheit sei. Wie stichhaltig ist diese Argumentation? Nun, ein Dienst an der Meinungsfreiheit wäre es, wenn Musk sonst keine Bühne hätte – wenn er von sämtlichen Medien in den USA boykottiert würde und ihm auch kein eigenes Medium zur Verfügung stünde. Zweimal Fehlanzeige: Kaum einem Menschen stehen so viele öffentliche Bühnen zur Verfügung wie Elon Musk – und das weltweit. Es ist vielmehr beinahe schon schmerzvoll, wie viel Musk eine durchschnittliche Medienrezipient*in serviert bekommt und verdauen muss, ohne sich speziell für dessen Meinungen oder Expertise zu interessieren. Jemandem zu geben, der schon mehr hat als fast alle anderen, ist kein überzeugender Akt der Inklusion.
Umgekehrt könnte das „Meinungsfreiheit“-Argument der Welt trefflich gegen eine Veröffentlichung dieses Beitrags gezückt werden: der knappe und wertvolle Platz für Gastkommentare wird gezielt Stimmen zugewiesen, die wenigstens gleich wichtige Botschaften für die Menschheit parat haben wie Elon Musk, aber nur einen Bruchteil von dessen Sichtbarkeit. Das wäre schon viel eher ein Einsatz für Inklusion und Pluralität.
Wir würden uns solche leidigen Abwägungen und Urteile ersparen, wenn wir einige Dinge grundlegend regeln würden. Konkret habe ich in meinen Publikationen seit über 20 Jahren (das Schwarzbuch Privatisierung“ erschien 2003) zwei argumentative Brandmauern gegen solche Bredouillen errichtet: Brandmauer eins: Niemand soll so reich werden dürfen wie Elon Musk, Bill Gates, Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg. Ich plädiere konsequent für eine Obergrenze für Privatvermögen, zuletzt im Standard. Die Holländer*in Ingrid Robeyns schlägt in „Limitarianism“ 10 Millionen Euro vor, ich könnte auch mit 30 Millionen Euro/USD/Pfund/SFr Obergrenze leben. Dann könnten uns auch nervige Gerichtsverfahren wie solche, in dem Musk einen 101-Milliarden-USD-Bonus für sich reklamiert, egal sein: Im Falle eines Zuspruchs würden die Milliarden weggesteuert – es käme vermutlich weder zu solchen Bonifikationen noch zu ihrer Einklage.
Brandmauer zwei: U. a. in der „Gemeinwohl-Ökonomie“ mache ich mich dafür stark, Medien insgesamt zu einem öffentlichen Gut umzugestalten. Das könnte folgende Prinzipien beinhalten:
a) Keine natürliche und keine juristische Person darf Eigentum an mehr als z.B. drei Medien halten, um Konzentration im Keim zu ersticken.
b) Kein Medium darf zu mehr als einem Prozent seines Umsatzes von einem Inserenten abhängig sein, um Abhängigkeit und Einflussnahme im Keim zu ersticken.
c) Ein neues Medium darf nur von z.B. fünf (akkreditierten) Journalist*innen gegründet werden. Jedenfalls darf weder ein Waffenhersteller (Le Figaro) noch ein Online-Händler (Washington Post) noch ein E-Fahrzeug-Hersteller oder Satelliten-Betreiber (X) ein Medium besitzen. Allein die Umsetzung dieses dritten Vorschlags hätte den Kauf von X durch Musk unmöglich gemacht – und wir hätten uns alles Nachfolgende erspart.
Heute würde ich weitere Vorschläge ergänzen wie z.B.
d) Ab einer marktbeherrschenden Größe (z.B. zehn Prozent Weltmarktanteil) werden Unternehmen automatisch verstaatlicht – was sie ohne Mühe vermeiden könnten, indem sie kleiner blieben.
e) Die „Community-Regeln“ von verstaatlichten Internet-Plattformen werden so demokratisch wie möglich gebildet, also vom demokratischen Souverän z. B. in einem Bürger*innen-Rat oder einem demokratischen Medienkonvent.
Das wären strukturelle Reformen, die uns Debatten wie „Soll Musk in der Welt seine Meinung äußern dürfen?“ ersparen würden. Aber mich hat an der Entrüstungssturm über Musks Gastkommentar ein Aspekt besonders gestört. Als „Philanthropen“-Kollege Bill Gates 2020 am Ostersonntag rund 10 Minuten Werbefläche in der ARD erhielt, regte sich niemand so mächtig auf wie bei Musk. Warum? Weil Bill Gates etwas sagte, was gefiel, während Musk etwas schrieb, das missfiel? Genau das darf nicht das Kriterium sein. Gleiches Recht für alle würde bedeuten, dass Philanthropen aufgrund ihrer gigantischen Macht eben keine zusätzliche Bühne erhalten. (Besser noch: dass es sie infolge einer Obergrenze für Privatvermögen erst gar nicht mehr geben kann, s. o.) Am 10-Minuten-Interview mit Bill Gates in der ARD fielen vom Grundsätzlichen abgesehen mehrere Aspekte unangenehm auf:
a) Es gab praktisch keine kritische Rückfrage des Redakteurs, er holte die Weisheit des Erleuchteten in Reinform ab;
b) als Bill Gates im Indikativ (!) verkündete „Wir werden sieben Milliarden Menschen impfen“ gab es keine Rückfrage, wer dieses „wir“ sei und ob Gates die Einwilligung der sieben Milliarden Menschen eingeholt habe;
c) Es wurde nicht erklärt, warum ein IT-Experte zu epidemiologischen Kennzahlen so prominent befragt wurde (wie zweifelhaft Gates’ Ansichten und seine Rolle rund um das Thema sind, zeige ich in meinem upcoming Buch „Lob der Grundrechte“; schon die allererste Aussage, dass die Todesraten in Afrika höher sein würden als in Industrieländern, erwies sich als falsch).
d) Obwohl prominente Stimmen auf einen möglichen Labor-Ursprung seit Anfang 2020 hingewiesen hatten und Bill Gates selbst schon 2017 auf der Münchner Sicherheitskonferenz davor gewarnt hatte, dass das nächste Virus „auf dem Bildschirm eines Terroristen“ entstehen könnte, stellte der Journalist zu den möglichen Ursprüngen der C19-Pandemie keine Frage.
e) Es gab keine Offenlegung der eklatanten Interessenskonflikte von Gates, der bekanntlich Biontech-Aktien zu einem verdächtig passenden Zeitpunkt kaufte (kurz vor dem offiziellen Ausbruch der C19-Pandemie zu einem pre-public offering-Preis: um 18,10 USD je Aktie) und Ende 2021 um durchschnittlich 300 USD je Aktie wiederverkaufte. Zusammen mit den ebenfalls abgestoßenen CureVac-Aktien belief sich der – weitgehend steuerfreie – Reingewinn auf 310 Millionen USD (Clark County Today, 20. Februar 2023), das ist annähernd der Betrag, mit dem die Bill & Melinda Gates Foundation im selben Jahr die WHO sponserte: 375 Mio. USD (WHO 2021, S. 6).
Ich könnte mich unendlich aufregen über ein so unkritisches, willfähriges und bühnebietendes Interview. Aber eben auch darüber, dass sich aktuell sehr viele – zu Recht – über die unnötig gebotene Bühne für Musk bei einem Privatmedium aufregen, eine noch viel prominentere Verkündigungsbühne für Gates im ÖRR am Ostersonntag dagegen unbedenklich fanden, um nicht zu sagen: segensreich.
Genaueres zum Thema im Lob der Grundrechte (erscheint am 3. Februar 2025)
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Aus meiner Wahrnehmung heraus, ist glaube ich das gemeint: Meinungen über allgemeine politische Befunde sind eine Sache, Meinungen über Gesundsheitspolitik (die man gezwungen ist, Experten zu überlassen) eine andere. Ich hatte ein ähnliches Empfinden, obwohl ich verstehe, was Sie meinen: Dass Menschen mit einer stärkeren Wirkungskraft bzw. Finanzkraft, in der Lage sind, Meinungen beeinflussen zu können. Abgesehen davon, teile ich Ihre Meinung in allen Punkten.
Vielen Dank! Das sind soviel kluge Gedanken, die Verknüpfung mit Corona und dem Thema „Impfen“ machen Sie Ihre Glaubwürdigkeit wieder zunichte. Schade!
Ich verstehe, dass Sie diese Verknüpfung nicht akzeptieren-aber die Argumentation von Christian ist fundiert und begründet. Wenn Sie die Glaubwürdigkeit beschädigt sehen, müssten Sie konkret Argumente von ihm widerlegen können. Es genügt m.E. nicht, einfach nur eine Meinung zu haben.
Liebe Friederike Winsauer, danke für das Feedback und: Warum sind Sie der Ansicht, dass die Verknüpfung meiner Glaubwürdigkeit schadet? Ich bin schon etwas überrascht, dass Sie dieses Urteil ohne Begründung fällen, – wollen Sie das nachholen?